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Bestandsaufnahme: E-Mails mit dynamischen und interaktiven Inhalten?
Unter Begriffen wie Kinetic- oder Interactive-E-Mail versteht man E-Mails, die bewegliche oder interaktive Elemente beinhalten. Dazu gehören zum Beispiel Mouse-Over-Effekte oder Text- und Bildanimationen wie das Ein- und Ausblenden, Rotationen oder Text-Zooms. Es handelt sich um Effekte und Elemente, die man sonst von Websites kennt und die im E-Mail-Kontext für Aufmerksamkeit und eine gewisse Abwechslung im Post-Eingang sorgen sollen. Mithilfe von HTML5- und CSS3-Code ist es schon seit längerem grundsätzlich möglich, interaktive bzw. bewegte Komponenten in E-Mails zu integrieren. Jedoch ist die Integration und das Testing dieser Elemente sehr aufwendig und die Darstellbarkeit der Inhalte war bei zahlreichen E-Mail-Providern nicht gesichert.
Im Jahr 2015 warfen wir erstmals einen Blick auf das Thema Kinetic Email Design. In unserem damaligen Beitrag zeigten wir uns daher kritisch, inwieweit sich Aufwand und Effekt die Waage hielten. Die Chancen für die Darstellung des gewünschten Effekts beim Empfänger waren sehr niedrig, deshalb verwiesen wir auf die zeitlichen und finanziellen Einsparungsmöglichkeiten beim Rückgriff auf gut gestaltete klassische E-Mails mit einer professionellen Landingpage. Dennoch bieten dynamische Inhalte zusätzliche Aufmerksamkeit und Raum für Individualität im Posteingang – Grund genug, das Thema nach einigen Jahren wieder aufzugreifen und die Nutzbarkeit auf dem deutschen Markt zu testen.
Der (schwere) Stand dynamischer E-Mails
HTML5 und CSS3 gelten mittlerweile als etablierte Standards im Web. Das lässt Hoffnung für interaktive E-Mails aufkommen. Bei der Betrachtung internationaler Untersuchungen zur Unterstützung von CSS3-Code-Elementen bei E-Mail-Providern lässt sich eine Verbesserung der Situation für dynamische Inhalte erkennen. Bisher gab es für den deutschen Markt noch keine derartige Untersuchung. Um einen besseren Blick auf das Thema und den Stand interaktiver E-Mails in Deutschland werfen zu können, haben wir deshalb sechs Beispielmails, die von Justin Khoo von Freshinbox entwickelt wurden, in den beliebtesten E-Mail-Clients der Deutschen getestet. Dabei betrachten wir jeweils die Darstellbarkeit von CSS-Inhalten bei Webmailern und deren Apps: Bei web.de und GMX und T-Online testeten wir die interaktiven Mails sowohl in deren Webmail-Oberfläche im Browser als auch jeweils in den iOS- und Android-Apps der Anbieter. Outlook.com/Live.com/Hotmail, Freenet und Gmail bieten ebenfalls eigene E-Mail-Apps für iOS und Android Smartphones sowie Webmail-Clients für den Browser. Die Darstellung der Mails in den Webmailern Roundcube und Eclipso testeten wir nur im Browser auf Desktop-Geräten.
Die sechs Testmails mit dynamischen Elementen (öffnen Sie die Slideshow, um die jeweiligen Animationen zu sehen)
Die sechs Testmails beinhalten Bilderkarussells, Hotspots in Bildern, Textanimationen, einen Bildertausch bei Mouse-Over, Content-Tabs und eine hybride Menüleiste. Letztere überfordert alle getesteten Webmailer. Diese hatten im Test allgemein die meisten Schwierigkeiten mit der Darstellung von CSS-Effekten und zeigten meist nur das erste statische Bild der Animation oder in einigen Fällen auch ein dediziertes Fallback-Bild. Am besten stellte sich dagegen die Unterstützung der codierten Animationen bei Webkit-fähigen E-Mail-Clients wie Apple Mail auf iOS und Mac OS, aber auch in den Mobile Apps einiger deutscher E-Mail-Postfach-Provider dar.
Diese Webmailer unterstützen kinetische Effekte
Darstellung dynamischer Effekte in mobilen Apps
Die Ergebnisse zeigen: die großen regionalen Freemail-Provider United Internet mit GMX und web.de sowie T-Online und Freenet, die zusammen 50 Prozent der deutschen Konsumenten-Mailboxen hosten, unterstützen „Interactive Email“ mit ihren Webmail-Portalen nach wie vor nur sehr lückenhaft – bei T-Online funktioniert kein einziger der getesteten Effekte. Dass es für diese mangelhafte Unterstützung keine zwingenden (technischen) Gründe gibt, zeigen die Tests, die wir beispielhaft mit der Opensource-Webmail-Lösung Roundcube, die bei vielen Webhostern im Einsatz ist, sowie beim Mailbox-Provider Eclipso durchgeführt haben. Bei diesen Webmailern funktionieren fast alle der getesteten dynamischen Elemente.
Bei den mobilen Apps für iOS und Android, die immer mehr zum primären E-Mail-Empfangskanal werden, hat sich das Bild inzwischen erfreulich gewandelt: Insbesondere United Internet mit GMX und web.de sowie T-Online haben ihre Smartphone- und Tablet-Apps inzwischen deutlich aufgebohrt: Die aktuellen App-Versionen zeigen die getesteten kinetischen Elemente (überwiegend) tadellos an und machen interaktive Funktionen nutzbar. Damit zeigen sich die deutschen Player deutlich innovativer als globale Konkurrenten wie Microsoft mit outlook.com und Google mit Gmail – die setzen aktuell auf andere Themen als bessere CSS-Unterstützung (s.u.) .
Interaktion in der Inbox
Neben „künstlerischen“ Effekten und Animationen bietet HTML5-und CSS3-Code aber auch die Möglichkeit, echte Interaktion direkt in der E-Mail zu erreichen. Anwendungsfälle sind z. B. funktionstüchtige Formulare, über die Zeit alternierende Inhalte (Adventskalender), interaktive Umfragen, Produktfeedbacks oder direkte Warenkorb-Befüllung in der E-Mail. In den Webkit-fähigen E-Mail-Clients funktionieren diese Anwendungen bereits. Andere Clients müssen hierbei meist noch auf statische Fallback-Varianten zurückgreifen.
Die Programmierung und das Testing der dynamischen und interaktiven Inhalte, sowie der zahlreichen Fallback-Varianten für unterschiedliche E-Mail-Clients, sind sehr aufwendig. Für Marketer zeigt sich hierin nach wie vor die größte Hürde bei der Anwendung dieser Techniken, weshalb der Einsatz interaktiver E-Mails wohl bedacht sein möchte. (Lesen Sie dazu auch unseren Beitrag: Interaktive Elemente im E-Mail-Marketing richtig nutzen)
Entscheidungshilfe: Lohnt sich der zusätzliche Aufwand für eine interaktive E-Mail?
Im Entscheidungsprozess für oder gegen den Einsatz interaktiver E-Mails ergeben sich für Marketer diverse Fragen, deren Beantwortung zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen führen können. Ausgangspunkt ist die Frage, ob das E-Mailing Umsatz erzielen soll. Falls Umsatz das primäre Ziel ist, stellt sich im nächsten Schritt die Frage, ob der geplante E-Mail-Verteiler groß genug ist, um hinsichtlich des erzielbaren Gesamtumsatzes die signifikanten Implementierungskosten für interaktive E-Mail-Funktionalität zu rechtfertigen. Sofern die Kontaktliste diesbezüglich zu klein sein, sollte zunächst verstärkt an der Vergrößerung der Reichweite gearbeitet werden, bevor interaktive Mailings in den Blick genommen werden. Bei einem ausreichend großen Verteiler gilt als Nächstes zu prüfen, ob die Empfänger mit hinreichender Mehrheit moderne E-Mail-Clients benutzen. Im Business-to-Business nutzt ein Großteil der Kontakte Microsoft Outlook, das interaktive E-Mails nicht darstellen kann. Eine Umsetzung rentiert sich folglich eher nicht. Im B2C-Markt, in dem Webkit-fähige Clients und Apps deutlich häufiger sind, ist die Darstellbarkeit, wie unser Test gezeigt hat, eher gewährleistet. Hier stellt sich nun die Frage nach der Größe des Umsatzpotenzials. Marketer müssen in diesem Fall konkret prüfen, ob das Umsatzpotenzial auf der Basis der gegebenen Verteilergröße und dem potenziellen Warenkorbvolumen groß genug ist.
Falls das Potenzial stimmt, ist die nächste Frage, ob die Entwicklungskosten des interaktiven E-Mailings gedeckt werden, um final auch Gewinn zu ermöglichen. Ist dies der Fall, steht dem interaktiven Mailing zumindest betriebswirtschaftlich nichts mehr im Wege. Falls die Entwicklungskosten nicht gedeckt werden, kann die Antwort auf die Frage nach Einsparungspotenzialen den Wunsch interaktiver E-Mails noch retten. So kann zum Beispiel die Einrichtung eines interaktiven E-Mail-Formulars Einsparungen mit sich bringen, wenn dadurch keine Landingpage programmiert werden muss, auf der womöglich sensible Kundendaten verarbeitet werden müssen. Dies treibt in der Regel die Kosten in die Höhe, wohingegen auf der E-Mail-Plattform die Kundendaten bereits vorhanden und die Datenschutzrichtlinien erfüllt sind (Voraussetzung für den E-Mail Versand). In einem solchen Fall kann das Einsparungspotenzial groß genug sein, sodass sich der Einsatz interaktiver E-Mails wieder lohnt.
Verneinen Marketer die erste Frage nach dem Ziel der Umsatzgenerierung, stellt sich die Frage, ob es sich bei dem E-Mailing um eine Branding- oder Imagekampagne handelt, was eine gewisse Investition rechtfertigt, während eine Verneinung dieser Frage die Umsetzung interaktiver Mailings wenig ratsam erscheinen lässt. Bei einer Kampagne zur Imageverbesserung oder Markenbildung bleibt zu hinterfragen, ob die reduzierte Funktionalität ohne Einsatz von JavaScript in der Inbox der Empfänger ausreicht. Hier müssen sich Marketer über die Beschränkungen der Umsetzbarkeit bewusst sein. Werden die Einschränkung als zu groß oder die Design-Limitierungen als nicht akzeptabel erachtet, ist Marketern von einer Umsetzung abzuraten. Für den Fall, dass Funktionalität und Design-Optionen entsprechend ausreichen, steht der Nutzung von interaktiven E-Mails nichts im Wege.
E-Mail-Marketing-Agenturen wie Mayoris und Publicare bieten die Umsetzung von interaktiven E-Mails mit entsprechenden Fallbackvarianten als kostenpflichtige Dienstleistung (Einmalumsetzung oder API) an. Marketing Cloud Anbieter wie Salesforce (durch die Akquise von Rebelmail) oder Selligent arbeiten an nativen Integrationen von interaktiven Widgets in den jeweiligen Plattformen, diese sind jedoch noch nicht öffentlich verfügbar. Wir sind daher gespannt, wann und auf welche Art die Funktionalitäten in Zukunft in die integriert werden. Für alle E-Mail-Marketer, die sich selbst mit der Gestaltung interaktiver E-Mails auseinander setzen wollen, gibt es Inspiration z. B. bei „Really Good E-Mails“ sowie kostenlose Tutorials und Ressourcen z. B. bei „Fresh Inbox“.
Interessante Beiträge rund um interaktives E-Mail-Marketing finden Sie auch im Mayoris Blog.
AMP – Google auf eigenen Pfaden
Für Google ist eine bessere Unterstützung von CSS3- und HTML5 augenscheinlich kein Thema. Das zeigt sich auch in unserem Test, bei dem außer dem Hover/Mouse-Over Bildertausch kein Effekt aus unseren Beispielmails in den Gmail-Produkten funktioniert. Das liegt vermutlich daran, dass Google versucht, einen ganz eigenen Standard im Markt zu etablieren: Im Frühjahr 2019 kündigte Google an, für den Gmail-Webmailer und die Gmail-App die Möglichkeit für AMP-Mails zu bieten. „AMP“ steht dabei für „Accelerated Mobile Pages“. Dahinter verbirgt sich ein neuer E-Mail-Typ, der auf proprietärem Google-Code basiert. AMP-Mails sollen letztlich wie interaktive Websites funktionieren und dem Benutzer die gleiche Erfahrung bieten, ohne das Postfach verlassen zu müssen. Von Kommentarfunktionen in verschickten Google Docs bis hin zu Preisvergleichen verschiedener Hotelanbieter soll der Funktionsumfang der E-Mail damit erweitert werden. Yahoo Mail, Outlook.com und Mail.ru haben angekündigt, AMP unterstützen zu wollen.
Das klingt erstmal sehr vielversprechend, allerdings bringt Googles hauseigene Definition auch Schwierigkeiten für E-Mail-Marketer. So müssen Versender vorerst einen Review-Prozess durchlaufen, um ihren AMP-Code von Google freischalten zu lassen. Das kostet Zeit und macht sehr abhängig von Google. Zudem ist AMP ein neuer Multipart-Type, also wirklich ein neuer E-Mail-Typ neben HTML und Text. Das erhöht sowohl den Programmieraufwand als auch den Aufwand im Testing, während es gleichzeitig noch kein professionelles Mailing-Tool gibt, das diesen neuen MIME-Typ als Versender unterstützt.
Die Zukunft interaktiver E-Mails
Die Publicare-Tests zeigen, dass sich auch Jahre nach unserem letzten Blog-Post zu „Interactive E-Mail“ weder dynamische Inhalte noch HTML5- oder CSS3-Codierungen für E-Mails durchgesetzt haben. Es gibt mittlerweile mehr Provider als damals, die über die Codierung dynamische oder sogar interaktive Inhalte in Webmail- oder Mobile App-basierten Posteingängen ermöglichen. Zudem gibt es auch bezahlte Möglichkeiten, interaktive und Bewegtbild-Elemente in E-Mails auszuspielen, z.B. in den Inboxen von United Internet (Betreiber von web.de und GMX). Aber noch immer sind die Zeit- oder Servicekosten für diese Inhalte sehr hoch.
Für uns zeigt sich im Gesamtbild eine fragmentierte Provider-Landschaft: Neben Freemail-Anbietern, die dynamische Inhalte nach wie vor komplett ignorieren, kristallisieren sich einige heraus, die sich um zumindest partielle Unterstützung bemühen. Und dann gibt es noch den Internetriesen Google, der an der Nutzung von HTML5 und CSS3 kein Interesse zu haben scheint und stattdessen einen neuen, proprietären E-Mail-Typen in den Markt drückt. Dynamische und interaktive E-Mails bleiben auch 2019 definitiv ein wichtiges Thema, wobei in unseren Augen der Fokus stärker auf der Nutzung und Implementierung gegebener und offener Standards liegen sollte. Würde hier zum Beispiel durch Kinetic CSS Libraries und Tools der Programmieraufwand sinken und die Unterstützung auf der Seite der Internet-Service-Provider steigen, könnten interaktive E-Mails auf Basis von HTML5 und CSS3 an Momentum gewinnen.